Wir brauchen es jetzt. Das klare Ziel. Und dann – krempeln wir die Ärmeln hoch. Ja, natürlich. Wer möchte das nicht: mit anderen in eine Richtung laufen? Hand in Hand. Auf einen Horizont zu, der betörend glitzert./
We need it now. The clear goal. And then - we roll up our sleeves. Yes, of course. Who wouldn't want that: to run with others in one direction? Hand in hand. Towards a horizon that glitters beguilingly.
Wir sehnen uns nach Eindeutigkeit. Und das umso mehr, je komplexer, unverständlicher die Welt um uns herum sich anfühlt. Deshalb haben Populisten Hochkonjunktur, die mit einfachen Wahrheiten, Reinheitsgeboten und Schuldzuweisungen hausieren gehen. Dabei merken wir gar nicht, wie wir unter der Hand verarmen – in diesem Schwarz-Weiß-Universum, das Farbnuancen und Schattierungen negiert und uns auf überholte Lösungsautobahnen lockt.
Aber warum ist das so? Was lähmt uns zusehends? Und woher kommt es, dass diese duale Welt, die nur Freunde und Feinde kennt, Wahrheitsbesitzer und keine Wahrheitssucher, so anziehend ist? Und warum ist es so, dass wir Vielfalt, Pluralität und Komplexität nicht mehr als Bereicherung empfinden?
Weil wir denk- und differenzierungsmüde geworden sind? Woher kommt diese postmoderne Müdigkeit, die alles, was nicht eindeutig zuzuordnen ist, in den Keller oder auf den Dachboden verbannt, wo die Ober- und Untertöne zuhause sind? Derweil jeder Zwischenton im Erdgeschoß skandalisiert wird.
Aber was hat das alles mit StoryWork zu tun? Und mit unserem StoryCamp, das wir in Paretz errichten? Ganz viel. Glauben Sie mir. Weil Geschichten für Mehrdeutigkeit stehen – egal, ob innerhalb von Unternehmen oder außerhalb. Und mit dieser Mehrdeutigkeit bereichern und inspirieren sie uns. Wobei diese Mehrdeutigkeit nichts von Beliebigkeit hat, wie Thomas Bauer in seinem Büchlein über „die Vereindeutigung der Welt“ betont. Der Bedeutungsüberschuss, den Geschichten erzeugen, sorgt für Bedeutungsöffnungen ohne in Beliebigkeiten abzutriften. Damit helfen sie uns, das Miteinander in pluralen Teams, Unternehmen und Gesellschaften zu gestalten. Weil gute Geschichten immer mindestens zwei Enden haben. Darin unterscheiden sie sich übrigens auch von Gebrauchsanweisungen, mit denen sie immer wieder verwechselt werden.
Die Philosphin Isolde Charim hat mit „Ich und die Anderen“ ein Buch geschrieben, das um das Thema der Pluralität kreist. Ein enorm wichtiges Buch, wenn es darum geht, dass wir uns von einem phantasierten, homogenen Ganzen und einem damit gekoppelten Identitätsbegriff verabschieden, der sich gegen Durchlässigkeiten sperrt. Anzuerkennen, dass wir alle mehrheimisch und multiple Persönlichkeiten sind, ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns auf diesem unsicheren Terrain bewegen lernen. Einem Terrain, wo es nicht den einen Wahrheitsweg gibt, sondern viele begehbare Pfade. Einem Terrain ohne Markierungen, aber mit jeder Menge Wegmarken, die den achtsamen Wanderer leiten. Einem Terrain, das mit wenig Vorschreibungen und minimalen Regeln auskommt. Wenn Sie jetzt an den Film “Stalker” von Andrei Tarkovsky denken, liegen Sie nicht falsch. Dieses Terrain hat tatsächlich etwas von der ZONE, in der die alten Gewissheiten und Gesetze ihre Bedeutung verloren haben. Was hier hilft, ist allein Geistesgegenwart im emphatischen Sinn.
Isolde Charim bezieht sich auf die Straßenverkehrsordnung und das Gegenkonzept der Begegnungszonen, wenn sie versucht, diesen neuen Zugang und die damit einhergehende Verhaltensänderung zu beschreiben: Die wundersame Verwandlung aggressiver Verkehrsteilnehmer erreicht man nicht durch Regeln, schreibt sie, sondern durch „Deregulierung. Das ist die bewusste, gezielte Herstellung von subjektiver Unsicherheit. Raumplaner sagen das ganz offen. Durch räumliche Gestaltung – wie den Wegfall von eindeutig zugeordneten Straßenflächen – erzeugt man beim Einzelnen ganz absichtlich das Gefühl der Unsicherheit. Denn genau das führt zu verändertem Verhalten. Die Unsicherheit des Einzelnen erzeugt eine sichere Gesamtsituation… Damit wird die Begegnungszone zum Sinnbild der pluralisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.“
Geschichten sind wie Rundbänke in diesen Begegnungszonen.